HOME PROJECTS
< AT I EN >
Kontakt


AUFRUFAKTION




Suche nach ehemaligen ZwangsarbeiterInnen und ZeitzeugInnen mittels Flugblätter


Im Juni 2001 wurde in Graz im FORUM STADTPARK die Ausstellung "Akte Erzberg" eröffnet. Diese war - nach Exkursion, Seminar, wissenschaftlicher und historischer Annäherung an das Thema der NS-Zwangsarbeit am Erzberg - Präsentation der Reflexionen der KünstlerInnen und zugleich Vorschau auf VOR ORT projektierte Präsentationen im Frühjahr 2002: die Auseinandersetzung mit den historischen Gegebenheiten, mit Erinnerung, Verdrängung, dem Beinahe-Nichtvorhandensein von Spuren, dem Graben im Sichtbaren und Unsichtbaren.

Der Beitrag der Grazer Künstlerin Doris Jauk-Hinz beschäftigt sich mit dem Medium Flugblatt im Widerstand. Es war primärer Informationsträger für Aktionen gegen das nationalsozialistische Regime. Der Aufruf zum passiven Widerstand und zur Vervielfältigung und Weitergabe des Flugblattes hatte das Ziel, zum Sturz des Systems beizutragen und den Nationalsozialismus zu Fall zu bringen. War eine Verbreitung im Untergrund nur unter schwierigsten Bedingungen möglich, so wird in der Aktion jetzt das Flugblatt unter Mithilfe von Printmedien einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und dient zur Suche nach ehemaligen ZwangsarbeiterInnen und/oder ZeitzeugInnen in Kanada. In Graz wurde dem kleinen Flugblatt Platz geschaffen: die Außenfassade des FORUM STADTPARK wurde mit Flugblättern tapeziert.

Kanada ist bekannt als eines der Länder mit einer hohen Anzahl von Einwanderern unterschiedlicher Herkunft. Möglicherweise sind viele davon politische Emigranten, ZwangsarbeiterInnen und ZeitzeugInnen. Wenn auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich unter den registrierten Betroffenen auch ehemalige Erzberg-ZwangsarbeiterInnen und/oder ZeitzeugInnen sowie deren Angehörigen befinden nach so vielen Jahren gering ist, sollte das Bemühen der Kontaktaufnahme nicht unversucht bleiben. Aussagen von Betroffenen - ob auf Fakten basierend oder durch subjektive Sichtweisen gefärbt - sind ein wichtiger Bestandteil zur Aufarbeitung der Vergangenheit für Opfer und Täter. Bei noch nicht erfolgter Wiedergutmachung wird dieses Versäumnis nachzuholen sein, entsprechende Informationen werden an den österreichischen Versöhnungsfond übermittelt.

Der erste Teil der Aufrufaktion mit der Bitte um Kontaktaufnahme erfolgte während des dreimonatigen artists in residence Aufenthaltes der Künstlerin in Kanada (UMAS / Durham nahe Toronto). Die Aktion wurde durch öffentliche Institutionen wie bspw. dem Holocaust Education & Memorial Centre in Toronto unterstützt. Informationen über die “Akte Erzberg” wurden an registrierte Betroffene und Schulen weitergegeben. Die Aufrufaktion mittels Printmedien war ebenso vorgesehen, wurde jedoch aufgrund des aktuellen Ereignisses am 11. September verschoben. Einem Ereignis, dass die Parallelität in der Überschreitung aller moralischen Grenzen des menschlich Denkbaren darstellt.

Steirischer Erzberg
Im April 1938, nur wenige Wochen nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, hatte Hermann Göring in Linz den Entschluss zur Errichtung der Hermann- Göring-Werke bekannt gegeben. Im nun “Ostmark” genannten Österreich wurden offenkundig schon vor dem Anschluss in Planung befindliche “Modernisierungsprojekte” auf dem Gebiet des Transportwesens, der Schwerindustrie und der Energieversorgung sofort umgesetzt. Zentrale Bedeutung kam dem in Zusammenhang mit der Aufrüstung grundlegenden Primärrohstoff Eisen zu. Die Hermann Göring Werke übernahmen im Hinblick auf die künftige Rüstungsproduktion Mehrheitsbeteiligungen an den Eisen- und Stahlwerken Alpine Montan, den Automobilwerken Steyr-Daimler-Puch und den Gussstahlwerken in Judenburg.

Der massive Ausbau des Erzabbaues konnte nur mit Hilfe einer großen Zahl von Zwangsarbeitern bewerkstelligt werden. Bei den ersten Zwangsarbeitern handelte es sich um Wiener Juden, welche im Straßenbau eingesetzt wurden. Im Dezember 1939 kamen dann die ersten 300 von 1.500 angeforderten polnischen Facharbeiter am Erzberg an, wobei den zivilen Lohnarbeitern immer mehr Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene folgten. Kriegsgefangene vorwiegend von der Ostfront (Ukrainer, Weißrussen etc.) aber auch französische Gefangene von der Westfront arbeiteten als Zwangsarbeiter am Erzberg. Häftlinge aus dem KZ Mauthausen wurden für den Bau der Strasse auf den Präbichl nach Eisenerz überstellt. Schließlich wurde in Eisenerz ein Nebenlager von Mauthausen errichtet, das KZ auf der Feistawiese, ein Vernichtungslager mit Gaskammern in Folge des Kriegsendes jedoch nicht mehr in Betrieb genommen.

Die Erinnerung an das nationalsozialistische System wurde zugeschüttet; niemals wurde erwähnt, dass Zwangsarbeit am Erzberg die Basis für das Wirtschaftwunder nach 1945 geschaffen hat.

Im Gegensatz zur Zwangsarbeit bereits dokumentiert ist, dass es bei einem “Todesmarsch” ungarischer Juden durch Österreich auf der Strasse über den Präbichl im April 1945 zu einem Massaker durch die Eisenerzer SA und der Volkssturmeinheit kam. Ca. 300 tote Juden wurden in der Nähe des Leopoldsteinersees in Massengräbern verscharrt.

Projekt: Akte Erzberg, Forum Stadtpark, 2001



< back
[Flugblatt - Aufrufaktion Akte Erzberg]