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Das Unternehmen war eine Herausforderung: in Europa lockern sich die Grenzen, die Reisepäße mit den vielen bunten Stempeln werden langsam zu sentimentalen Erinnerungsstücken, und in den Ländern des ehemaligen Ostblocks werden mit der gleichen Begeisterung , mit der hier Grenzen fallen, neue errichtet. Staaten mit neuen Währungen entstehen, begeistert über die neu erlangte Autonomie und die zahlreichen Möglichkeiten, zu kontrollieren. Neue Grenzbeamte mit neuen Gesetzen, die sie selbst kaum kennen. So neu a lles, daß uns niemand sagen konnte, wie man etwas legal und offziell als Transitware durch diese Länder führen könne. Fast alle Transporte laufen über Tschechien, die Route durch Ungarn, Ukraine, Weißrußland und die baltischen Staaten sei nahezu unmöglich , da es keine Zollvereinbarungen, keine Handelsabkommen gibt.
Aber nur auf dieser Route war es möglich, das zu realisieren, was uns vorschwebte: ein russischer Zugwaggon mit den Arbeiten von 178 Künstlerinnen als mobile, allgemein zugängliche Installation im öffentlichen Raum, von Graz bis St. Petersburg. Nur auf dieser Strecke besteht die Möglichkeit, mit demselben Waggon von Österreich in die Länder der ehemaligen Sowjetunion zu fahren: Die Spurbreite der Schienen ist verschieden, und an der Grenze von Ungarn zur Ukraine wird der Zug Waggon für Waggon mit ries igen Kränen ca. eineinhalb Meter in die Höhe gehievt, der Unterbau der Waggons wird ausgewechselt.
Mit der Kundenberatung der ÖBB wurde die Route festgelegt: Graz - Wien - Nickelsdorf - Hegyeshalom - Budapest - Debrecen - Chop - Rovno - Lvov - Stryj - Mukachero - Goryn - Luninec - Baranovichi - Minsk - Ezergige - Orscha - Centr - Vitebsk - Alescha - Du o - Leningrad. Reisedauer: 63 Stunden, 25 Minuten.
Ob die Bestellung eines russischen Waggons mit austauschbarem Fahrgestell möglich sei, war ungewiß. Die ÖBB hatte so etwas noch nie gehabt. Von Graz nach St. Petersburg gibt es zudem keine durchgehende Zugverbindung - der Waggon muß mehrmals umgekoppelt w erden. "Alle Leistungen sind nur möglich, wenn die beteiligten Bahnen ihr Einverständnis zur Führung geben und die RZD (Russische Eisenbahn) einen geeigneten Schlafwagen stellen kann", hieß es im Offert der ÖBB. Und ob wir die Anfrage wirklich ernst meinten.
Welche Visa auf der Route benötigt werden, war ebenso zweifelhaft: braucht man für Weißrußland ein eigenes Visum oder reicht das russische? Die russische Botschaft gab darüber keine Auskunft. Die österreichischen Botschaften in Rußland und Ungarn, das Au ßenministerium und auf Rußland spezialisierte Speditionen wurden kontaktiert. Die Gesetzeslage war klar: ein unversiegelter, öffentlich zugänglicher Transport von künstlerischen Arbeiten durch diese Länder verstieß gegen alle Vorschriften. War noch nie da , ist unmöglich. Alle rieten davon ab. Und fanden die Idee zugleich spannend und halfen.
Die Botschaften in Budapest und Moskau schickten Empfehlungsschreiben in der jeweiligen Landessprache. Kulturattache Christian Siegl rief mehrmals aus Budapest an, um vor den Gefahren zu warnen, die auf uns lauerten: organisierte Banden, die uns mit Gas b etäuben und ausrauben würden. Eisenbahnräuber, die Züge in unbewohnten Gebieten anhalten und berauben. Mörder, Vergewaltiger... Ein Zustand der Gesetzlosigkeit, der "Wilde Osten". Wir sollten auf keinen Fall Wertgegenstände mitnehmen. Immer beisammen blei ben, nie allein oder auch nur zu zweit. Am besten den Waggon gar nicht verlassen, und wenn, dann nur mit männlicher Begleitung. Und ihn bitte anrufen, wenn wir wieder zurück in Österreich sind, er macht sich große Sorgen. Die Tatsache, daß wir auch drei Männer dabei hatten, beruhigte ihn etwas. Wir waren gewarnt, gewappnet - und umso neugieriger.
Reisefieber
Nach den Abmessungen eines russischen Schlafwagenwaggons am Wiener Südbahnhof wurden Vitrinen aus Plexiglas angefertigt, die Anordnung in den Abteilen konzipiert. Der geplante Verlauf der Reise laut ÖBB: "Zuführung des Waggons nach Möglichkeit am 28. 8. bis 11 Uhr, Bereitstellung zur Ausgestaltung, Abfahrt am 29. 8. um 19.25 Uhr bis Wien Südbahnhof, weiter ab Wien Westbahnhof am 30. 8. um 10.07 Uhr, nach Möglichkeit zeitgerechte Aufstellung für Präsentati on am Bahnsteig. In Budapest Überstellung des Schlafwagens von diesem Zug auf den Zug 16 mit Abfahrt um 16.15 Uhr, nach Möglichkeit der ungarischen Eisenbahn Bereitstellung des Wagens nach Ankunft oder vor Abfahrt für eine Präsentation am Bahnsteig. Letztlich Fahrt bis Leningrad/St. Petersburg."
Die Ankunft des Waggons am Grazer Hauptbahnhof mußte schließlich auf 23.00 Uhr verschoben werden. Am Bahnhof war zu dieser Uhrzeit niemand mehr, der von unserem Projekt gewußt hätte, der Schlüssel für den Waggon war nicht wie vereinbart hinterlegt worden. Der Zug kam nicht.
Eine halbe Stunde später schließlich doch: "unser" Waggon - sofort erkenntlich an den russischen Schriftzeichen und der feudal-zaristisch anmutenden Aufmachung - wird auf einem Nebengleis abgestellt. Ein altes Modell - wir hatten unsere Vitrinen auf die M aße moderner Schlafwägen abgestimmt! Die Tür ist verschlossen. Schließlich entdeckt Veronika, daß ein Fenster spaltbreit geöffnet ist. Ein Bahnbeamter assistiert, Veronika hängt am Fenster - und schaut in das entsetzte Gesicht eines Mannes mit Schnurbart und nacktem Oberkörper, bleich und ebenso erschrocken wie die Künstlerin.
Verhandlungen: wir wollen in den Waggon, müssen die Vitrinen installieren. "Njet". Bitte nur ganz kurz, zum Ausprobieren. "Njet". Es muß aber sein! "Njet". Er verschwindet wieder, kommt mit einem Zettel zurück, auf dem 19:22 steht. Aus dem Hintergrund tau cht ein zweiter Mann auf, ebenso verstört. "Sprechen Sie Deutsch, do you speak English?" "Njet". Das Fenster wird geschlossen, die Männer verschwinden.
Verzweiflung. Doris fährt los, um Bernhard Wolf zu holen. Bernhard spricht russisch. Inzwischen bearbeiten wir gemeinsam mit einer uniformierten Bahnhofsvorständin die Männer weiter. Klopfen ans Fenster, betteln. Die Uniform beeindruckt sie etwas, sie ver handeln wieder mit uns. Wir halten die Vitrine ans Fenster. "Njet!". Unsere Uniformierte zieht resigniert ab. Schließlich öffnen die beiden unwillig die Tür. Die Vitrine ist zu groß für den vorgesehenen Platz. Hinter uns die beiden schockierten Männer mit abwehrenden Handbewegungen: "Njet!"
Endlich trifft Bernhard ein und plaudert. Zuerst ungläubige Gesichter, dann Lachen. Die beiden Herren waren unsere Schlafwagenbegleiter. Sie waren darauf eingestellt, eine dreißigköpfige österreichische Reisegruppe zu betreuen. Von Kästchen und Vitrinen h atte ihnen niemand erzählt. Sie erklären sich dazu bereit, den Waggon bereits am Vormittag für uns zu öffnen und uns zu helfen.
Von Graz nach Wien
Unsere Gruppe setzte sich zuammen aus 3 Künstlerinnen des W/BB-Teams (Veronika Dreier, Doris Jauk-Hinz, Eva Ursprung), dem Fotografen Wolfgang Croce, dem einfach die Idee gefiel, Doris« Nachbarn Hermine Posch und Dr. Karl Posch, Assistent am Institut für Informatik an der TU Graz und zuständig für den geplanten Datentransfer von St. Petersburg nach Graz, sowie Klaus Schweinzer, Nachbar von Veronika und ebenfalls Informatiker. Im Reisegepäck hatten wir einen Apple-Laptop, eine Videokamera, einen DAT-Rekord er und Fotokameras aller Preisklassen.
Am Abend verabschiedeten wir uns von der versammelten Gruppe von FreundInnen, Presse, AusstellungsbesucherInnen, einigen verirrten Reisenden, Kulturstadtrat Helmut Strobl und der Frauenbeauftragten Barbara Kasper. Der Zug fuhr mit halbstündiger Verspätung in die anbrechende Dämmerung. W/BB-Österreich Kuratorin Gina Ballinger und eine kleine Gruppe von FreundInnen begleitete uns bis Wien.
Bereits auf der Strecke nach Wien die Entdeckung, daß unsere Geräte mit den Steckdosen im Zug nicht funktionierten! Wir hatten uns zuvor erkundigt, ja, es gäbe 220 V. Und Steckdosen in jedem Abteil. Unsere Messungen ergaben beträchtliche Stromschwankungen , meist lag die Spannung deutlich unter 220 V. Also kein durchgehender Einsatz von Videokamera, DAT-Rekorder und Laptop, sondern eiserne Konzentration auf das Wesentliche. Die Bearbeitung des Videomaterials während der Reise, das Konvertieren und Weiterbe arbeiten auf Computer, um die Daten bereits vom Zug aus zur Veranstaltung nach Graz zu schicken, war somit hinfällig. Es blieb nur noch die Hoffnung, daß die Akkus für die Ankunft am Bahnhof St. Petersburg Varshavski reichen würden. Bei Ankunft war ohnehi n geplant, sofort im Taxi zur Universität zu fahren, um von dort weiter zu übertragen: St. Petersburg - Graz - Santa Barbara online.
Ungarn
Nach einer Pressekonferenz am Wiener Westbahnhof ging es am nächsten Tag planmäßig um 10.07 Uhr weiter. Mittag die erste Grenze. Erstaunte Blicke der Zollbeamten, doch nach Lektüre des Empfehlungsschreibens und unseres dreisprachigen Einladungsfolders (De utsch, Ungarisch, Russisch) freundliches Lächeln. Ermutigt baten wir die Beamten, noch einmal durch den Waggon zu gehen, da wir zuerst zu aufgeregt waren, sie zu filmen. Bereitwillig stimmten sie zu und stellten noch einige Fragen für die Kamera.
In Budapest einige Journalisten, KünstlerInnen, sowie eine Delegation der Kulturabteilung der Österreichischen Botschaft. Am Bahnhof wimmelte es vor Polizisten, der Durchgang zur Halle war gesperrt: Bombendrohung. Wir suchten eine Möglichkeit, unsere Akku s aufzuladen. Warum es eigentlich keine Schließfächer mit Steckdosen gibt? Das Mittagessen in Budapest war der letzte Aufenthalt im Vertrauten.
Ukraine
Von nun an änderte sich die Stimmung im Zug. Bis Budapest war er noch gefüllt mit Reisenden aller Nationen, nun hörte man nur noch wenig Englisch oder Deutsch. Mit der Videokamera durchstreiften wir die Gänge, verteilten Einladungen, luden alle in unseren Waggon ein. Unsere Schlafwagenbegleiter waren besorgt, entsetzt. Am liebsten hätten sie den Waggon versperrt und nicht mehr geöffnet. Wir richteten "Öffnungszeiten" für die AusstellungsbesucherInnen ein und erzählten die Geschichte der boxes.
Die Reise war der pure Luxus: Jede hatte ihr eigenes Abteil mit ein bis zwei Vitrinen. Die Schlafwagenbegleiter servierten Kaffee und Tee in Tassen in silbernen Behältern, die Provianttaschen waren bis oben gefüllt. Wolfgang flanierte fotografierend, Dori s filmend von Abteil zu Abteil, während sich innerlich die Spannung vor der nächsten Grenze aufbaute.
Die Ausreise aus Ungarn brachte keine Probleme. Im Niemandsland zwischen Ungarn und der Ukraine dann der Umbau der Waggons. Stundenlanger Aufenthalt bei Vollmond, eineinhalb Meter über der Erde. Arbeiter mit schwarzverschmierten Gesichtern. Zwei Männer na hmen Doris an den Armen und führten sie zurück zum Zug: "No Camera!".
Bei der Einreise in die Ukraine wurden schließlich alle Erwartungen erfüllt: forsche Schritte, laute, harte Stimmen. "Kontroll!" Lautes Klopfen riß uns um 2.08 Uhr aus dem Schlaf. "No camera!" Dann die Gesichter der Beamten beim Anblick der boxes. "Dokum ent!" Ich gab ihnen alles, was ich hatte: Ausfuhrbescheinigung aus Österreich, Empfehlungsschreiben der Botschaft, Einladungsfolder. Kopfschütteln, und dann wieder "Dokument!".
Eine weitere Delegation von Beamten wurde geholt. Wieder Staunen, Ratlosigkeit. Dann noch eine Gruppe mit Geigerzähler. Unsere Schlafwagenbegleiter waren sichtlich verängstigt, versuchten, zu erklären, zu vermitteln. Sie waren entsetzt darüber, daß wir ni cht die nötigen Papiere hatten, schüttelten den Kopf, "Problemo, Problemo...". Schließlich marschierte insgesamt ein Trupp von etwa 30 Beamten durch den Waggon.
Nach etwa zwei Stunden erschien dann ein Beamter, der etwas Deutsch sprach und sichtlich aus dem Bett geholt worden war. Graz, das kennt er, da hat er ein paar Monate verbracht. Und das ist also Kunst? Verständiges Nicken. Ein Stempel auf unsere österreic hische Ausfuhrbescheinigung mit dem Hinweis, das bei der Ausreise unbedingt zu zeigen, und wir konnten weiterfahren.
Von nun an gibt es keine offen gedrehten Videos von den Grenzkontrollen, nur noch Aufnahmen mit versteckter Kamera: Dunkelheit, Beine und russische Komandos.
Lvov
Gegen 10 Uhr hielt der Zug an einem Bahnhof, der Waggon wurde abgekoppelt. "Lvov", erklärten unsere Schlafwagenbegleiter und zeigten auf die Uhr: um 17 Uhr soll es weitergehen. Eine Landkarte wurde hervorgekramt, er zeigte auf eine Stadt mitten in der Ukr aine.
Gierig nach Strom und Kaffee stürmten wir auf den Bahnsteig. Dort lagen schlafende alte Frauen mit bunten Kopftüchern und großen Körben mit Gemüse und Obst. Es war ein strahlender Spätsommertag. Wir fielen als Trupp lärmender TouristInnen über den Ort her . Wild gestikulierend stürmte eine Gruppe mit Kameras in den ersten Laden, der nach Strom aussah - den Friseursalon. Friseusen in appetitlichen himmelblauen Mänteln brachen ihre Arbeit ab und versuchten, unser Anliegen zu verstehen: 3 Steckdosen, um unser e Geräte anzuhängen. Sie fühlten sich geehrt. Doris zeigte noch, wie die Akkus nach 2 Stunden zu wechseln seien, ich zitterte um meinen DAT-Rekorder - der Akku ist eingebaut, ich mußte das ganze Gerät dort lassen - dann wurde alles fotografiert und gefilm t, und wir zogen weiter in die Stadt.
Breite Straßen, feudale alte Gebäude, schönbrunnergelb. Wir waren in Lemberg gelandet, einer ehemaligen Metropole der Österreich-Ungarischen Monarchie. Ein herrliches Jugendstilfenster zog uns in ein Hotel, ein Tourist sprach uns an und erzählte, er sei a us Santa Monica, Kalifornien. Er habe Freunde in Santa Barbara. Wir erzählten ihm von W/BB und schickten ihn zum Bahnhof. Auf einer Seitengasse vor einer Kirche Serienhochzeiten: An die zehn Brautpaare stellten sich der Reihe nach vor dem Fotografen auf. Wir fotografierten.
Eine überfüllte Straßenbahn brachte uns ins Zentrum, ein alter Herr sprach uns auf Deutsch an und schwärmte von der guten alten Zeit. Wir fühlten uns fremd und sehr zuhause. Am Hauptplatz schließlich noch ein Double des Grazer Opernhauses, ein paar Meter weiter ein Markt mit Ikonen, bunten Tüchern und Anstecknadeln mit ukrainisch-amerikanischen Fahnen. Am Postamt moderne Telefone, die Verbindung nach Graz war erstklassig. Nachricht auf alle Anrufbeantworter: Sind in der Ukraine hängengeblieben, keine Mögl ichkeit der Datenübertragung zum Zeitpunkt der Veranstaltung. Wir sind noch am Leben und in Bewegung. Die Veranstaltung soll auf jeden Fall stattfinden, es gibt ja noch Santa Barbara.
Im Cafe sprachen wir eine Gruppe von Studenten an: ob sie für uns die Kulturredaktionen der Zeitungen anrufen könnten. Wir hätten da eine Ausstellung, über die sie schreiben sollten. Einer der Studenten sprach ausgezeichnet Englisch, studierte irgend etwa s mit Wirtschaft und internationaler Kommunikation und war hocherfreut über den Auftrag. Nach einigen Telefonaten hatten wir schließlich einen Journalisten an der Angel.
Unser Student übersetzte. Jede box wurde genau betrachtet, gefragt, woher sie kommt - die Vielzahl der Länder beeindruckte ihn sichtlich. Unsere Antworten wurden penibel notiert. Ob auch aus der Ukraine Arbeiten dabei wären? Wir waren etwas beschämt, nein , aber aus Rußland. Das war erst recht peinlich. "In der Ukraine machen die Frauen wunderschöne Kästchen", meinte er, "hier machen wir das bereits in der Schule!". Am meisten schockierte ihn jedoch, daß keine Landesfahnen bei den einzelnen boxes angebracht waren. Alle Länder kreuz und quer durcheinander? Wo doch die Nationalität das wichtigste sei! Am Abend ging es weiter zur nächsten Grenze.
Bei der Ausreise wieder Ansammlungen von Zollbeamten. "Dokumenta!" und "value?". Diesmal wurden Frauen, Kinder und sonstigen Angehörigen aus den Betten geholt und drängten sich durch die Ausstellung. Der ukrainische Stempel auf unserem österreichischen Au sfuhrdokument beruhigte sie schließlich, wir durften weiterfahren. Als der Zug losfuhr, bemerkten wir, daß das Dokument weg war.
Die Grenzen kamen nun in immer kürzeren Abständen, wir wußten nicht mehr, wo, in welchem Land wir gerade waren. Die verschiedenen Uniformen irritierten uns, zum Schluß war die Zugehörigkeit schlicht nicht mehr eruierbar: Polizei, Zoll, Bahnbeamte?
Plötzlich, zwischen zwei Grenzen, hielt der Zug ohne ersichtlichen Grund. Aus dem Fenster beobachteten wir zwei Männer, wie sie mit Öltonnen aus dem Wald kamen und in aller Ruhe den Diesel vom Triebwagen abzapften. Zuerst dachten wir, sie füllten Treibsto ff nach, doch als ein Zug vorbeifuhr und sie sich versteckten, war die Fließrichtung klar. Fünf Fässer haben sie abgezogen.
Litauen, Lettland, Estland, Ausreise, schon wieder Einreise. Die Zollbeamten gaben sich betont westlich und verzichteten auf strenge Kontrollen. Die Grenzrituale wurden uns zur lästigen Gewohnheit. Unsere Broschüren und Empfehlungsschreiben wurden stets k opfschüttelnd gelesen, dann weitere Beamte geholt. Nach Lektüre der Unterlagen meist Lächeln und vorsichtige Freundlichkeit im Umgang mit uns. Unsere anfängliche Angst wich langsam fatalistischer Gelassenheit. Wir waren irgendwo, nicht einmal auf der Land karte hatten wir je diese Dörfer und Gegenden gesehen, weit und breit nur Fremde ... was sollten sie schon mit uns machen? Offensichtlich hielten uns alle für verrückt, aber harmlos. Jedenfalls wollten sie uns auf keinen Fall behalten. Und die boxes auch nicht. Die Erleichterung aller Beteiligten war jedes Mal groß, wenn irgend ein Grund gefunden werden konnte, uns doch weiterfahren zu lassen.
Die boxes überstiegen ihre Vorstellungskraft. Kunst sah für sie anders aus, mit dem hier konnten sie absolut nichts anfangen. Zumindest erschien es ihnen nicht besonders wertvoll. Unsere russischen Begleiter verteidigten uns tapfer. Nach jeder erfolgreich passierten Grenze gab es für sie ein Bier.
Bei der Einreise in Rußland wurden wir darauf aufmerksam gemacht, daß unsere Ausreisevisa abgerissen waren. Erneuter Tumult: eigentlich dürften sie uns so nicht ins Land lassen. Aber wohin mit uns? Sie verwiesen uns an das österreichische Konsulat in St. Petersburg.
Frauen außer Kontrolle
Die Ankunft in St. Petersburg erfolgte nach einer Reise von 75:25 Stunden mit zwölfstündiger Verspätung. Erschöpft, zerknittert stolperten wir zwei eifrigen Männern mit Gepäckwagen in die Arme. Diese rissen uns die Vitrinen aus der Hand und luden sie auf den Wagen. Wir verteidigten uns tapfer, waren ihnen jedoch nicht gewachsen. Die Internetaktion zwischen Graz und Santa Barbara war 12 Stunden zuvor ohne uns gelaufen, die eingeladene Presse schon längst im Bett.
Die Gepäckträger verlangten für einen Transport über eine Entfernung von ca. 100 m im Gepäckwagerl $ 30,--, und die Organisatorin der dortigen W/BB-Ausstellung Polina Fedorova, der wir die boxes feierlich überreichen wollten, wußte nicht, wohin damit. Noc h kein Geld für die Ausstellung, kein Platz zum Lagern. Also in die Gepäckaufbewahrung. Kopfschüttelnd betrachtete sie unser Equipment: unvorstellbar, sich mit einem derartigen Gerätepark hier am Bahnhof zu zeigen. In ganz St. Petersburg gibt es maximal drei Apple Computer, deren Besitzer würden sie niemals ohne einen Trupp Leibwächter hier herumtragen. Überhaupt: äußerste Vorsicht auf der Straße, bei Verdacht am besten losrennen und laut schreien. Und nichts, absolut nichts aus der Hand geben. Schon gar kein Dokument bei irgendwelchen Kontrollen.
Den folgenden Tag verbrachten wir im österreichischen Konsulat, von dort mit Chauffeur ins Außenministerium... Wir seien quasi illegal im Land und eigentlich ist das alles unmöglich und wir dürften gar nicht hier sein. Wer uns eigentlich eingeladen hätte?
Ohne offizielle Einladung ist es nicht möglich, nach Rußland zu fahren! Nach langem Hin und Her bekamen wir dann doch neue Visa (allerdings wieder gegen $), für die boxes wurde auch ein Platz gefunden, und Polina klärte uns nach Lektüre unseres Empfehlun gsschreibens auf: ein Wort für Grenzen gibt es im russischen nicht, da gibt es nur Kontrollbezirke. Die Übersetzung von WOMEN/Beyond Borders bedeutete in diesem Schreiben demnach: "Frauen außer Kontrolle".
Österreichische boxes: